Die Kiesel-Story
Historisches
Wollte man die Geschichte ganz erzählen, müßte man in der Steinzeit beginnen, als das Brot sich aus dem Fladen erhob. Ein kleiner Rest Teig, aus Achtung nicht weggeworfen,
sondern eingearbeitet in den neuen Teig. Aus welchen Gründen auch immer, nicht gleich gebacken, sondern stehengelassen . Nur 18-20 Stunden bei Raumtemperatur, das könnte gereicht haben. Und das
Brot, stieß vor in eine neue Epoche, - der dreidimensionalen, der gesäuerten, der gelockerten. Wahrscheinlich war in Nordeuropa der Roggen das Getreide, an dem sich diese Entwicklung vollzog.
Geeignet im rauhen Klima des Nordens zu bestehen, ideal in technischer und aromatischer Liaison zur sich bildenden Säure, machten seine Eigenschaften ihn zum besten Kandidaten. Der Roggen -
Sauerteig - Komplex also.
Die zweite Komponente, die wesentlich zum Charakter des Kiesel beiträgt, ist nicht ganz so alt. Als die Legionen des römischen Reiches durch Europa tobten, wurden auch die
zivilisatorischen Errungenschaften der Römer verbreitet, von denen eine der direkt befeuerte römische Kuppelbackofen war. Zwar lehnten die alten Germanen die römische Zivilisation vehement,
gewaltsam und auch erfolgreich ab, aber das hinderte den Kuppelbackofen nicht daran sich über das ganze Land zu verbreiten und letztendlich jedes Gehöft zu erreichen. Dort dominierte er die
Brotbereitung der nächsten Jahrtausende bis in die Anfänge der Industrialisierung.
Diese schließlich mit ihrer "time is money"- Philosophie war dann das Ende des holzbeheizten Steinbackofens, wie er inzwischen hieß. Zu zeitaufwendig das lange Heizen, zu
platzaufwendig die Bevorratung Backofenholzes - es gab Alternativen, die lohnender waren.
Schwierigkeiten
Die ersten "Kiesel", die dann Ende der 70er Jahre in Hollen gebacken wurden, brauchten etwa 10 Minuten, um den Zustand der Ungenießbarkeit durch Verkohlung im Backofen zu erreichen. Wer konnte
schon ahnen, wie heiß ein direkt befeuerter Steinofen mit Holz zu heizen ist!? Im zweiten Versuch dauerte es 20 Minuten, um den selben Zustand zu erreichen. Da fragt man schon 'mal den alten Mann
aus der Nachbarschaft, der es vor Jahrzehnten wöchentlich gemacht hat, um Hilfe. So war dies, gottlob, nur ein kurzer Zustand, in dem die Wiederentwicklung des Kiesel gesteckt hat. Fans
jedenfalls fanden sich in dieser Zeit noch keine. Alle Fehler auszumerzen und die Struktur des Brotes durch die Kunst des Backens zu bestimmen war hingegen ein längerfristiges Problem. Ja, man
muß die Fehler, die man macht, erst einmal erkennen, um sie beheben zu können. Das allerdings kann dauern. Gerade bei Fans, -und die traten in dieser Zeit bereits im Dutzend auf- und wie das bei
Fans so üblich ist, man sah über jeden Fehler hinweg. Jeder Nichtfan hatte sie sofort bemerkt und mit bissigen Bemerkungen kommentiert wie etwa: "Das Brot muß man ja mit dem Löffel essen!" So
krümelig war es zuweilen. Stattdessen bejubelten die Fans den unvergleichlichen Geschmack, der sich aus der Synthese von gesäuertem Roggen und dem Steinbackofen ergab: der alte Geschmack dieses
Landes.
Einer dieser Fehler führte dann zu dem Namen, unter dem das Brot bekannt wurde: "Kiesel". Eben nicht weil der Roggen so viel wertvolle Kieselsäure enthält (was wirklich so
ist), sondern weil die zweite Generation zwar nicht mehr verkohlt war, aber dennoch über eine hart ausgeprägte Kruste verfügte. Das lieferte Geschmack, das versprach ein ausgeprägtes Kauerlebnis,
bei nicht mehr als zwei bekanntgewordenen Fällen ausgebrochener Zahnplomben.
Kulinarisches
Seinen größten Genußwert erreicht ein Brot heute im allgemeinen, wenn es frisch gegessen wird. Beim Kiesel ist das anders. Betriebsphilosophie der
STEINOFEN-BACKSTUBE HOLLEN bezüglich des Kiesel ist, daß dieses Brot erst 24 Stunden nach dein Backen angeschnitten werden soll. Die Scheibenelastizität erreicht dann ihre volle Kraft, die Kruste
ist noch hart und kräftig, und die Krume hat ihren Geschmack voll entwickelt. Selbstverständlich hat der Kunde völlig recht, wenn er, auf diesen Umstand hingewiesen, sagt: "Das ist mein Brot, das
hab ich bezahlt, damit kann ich machen, was ich will" und schiebt sich ein abgebrochenes Stück frischer Kruste in den Mund. Jedoch sei darauf verwiesen, daß ein Kiesel auch (bzw. gerade) nach
einer Woche oder noch älter viel zu bieten hat. Die richtige Lagerung vorausgesetzt.
Empfohlen sei hier ein Steintopf mit einem Temperaturbereich zwischen 5 - 9°C-. Ein "alter" Kiesel in dünne Scheiben geschnitten vermittelt dem Esser ein unglaubliches Maß an Aroma, bis hinein
ins kleinste Korn, welches aus irgendeinem Mundwinkel noch eine halbe Stunde nach dem Essen den Weg auf die Zunge findet.
Frei von Fehlern, also perfekt, wenn man streng sein will, ist der Kiesel selten. Dazu sind die beteiligten Komponenten Roggenteig und Steinofen zu sensibel und individuell. Bisweilen störrisch,
mit Ansprüchen auf die Minute und aufs Grad. Seine Herstellung ist sehr geprägt von fachlich anspruchsvoller Handwerksarbeit in einer enormen Breite von Details, die zusammen gefügt werden
müssen. So betrachtet man seine Fehler in der Esserschaft eben wohlwollend und nennt sie Charakter. Und damit hat man nicht gelogen.
Technisches
Ein Kiesel besteht im Getreideanteil zu 100% aus Roggen, der zum Teil versäuert werden muß, um ihn backfähig zu machen. Die Menge des Sauerteiganteils variiert je nach Zustand der
Getreidepartie und wird jede Saison neu ermittelt. Ein Kiesel wird nicht in Formen gebacken, man nennt das "freigeschoben". Das verspricht viel Kruste, also viel Geschmack. Nun ist dies ein
Umstand, der von Fachleuten oft bezweifelt wird, weil ein reiner Roggenteig ohne Form die Tendenz zeigt, sehr flach zu laufen, sich geradezu zum Fladen entwickelt. So ist es für ein solches Brot
unbedingt nötig, bereits vorverkleisterte Getreidestärke in den Teig einzuarbeiten, quasi als Gerüst des Teigstückes, um dieser Tendenz entgegenzuwirken. Man benutzt dazu zerkleinertes geweichtes
Altbrot und gekochte ganze Körner. Das Altbrot bringt dazu noch Würze in den Teig. Wer sich also darüber mokiert, daß Altbrot im Kieselteig verarbeitet wird, der ... hm..hat halt keine Ahnung.
Mit der Hefezugabe ist es eine ganz ähnliche Sache. Tendenziell reicht die natürliche Hefebildung des Sauerteiges aus, das Brot zu lockern. Vom Zeitpunkt der Brotlaibformung an, beginnt das Brot
flachzulaufen, bis es dann in den Ofen geschoben wird. Das darf also nicht zu lange dauern, allerdings müssen die Brote auch ihre volle Lockerung erreicht haben, da sie sonst im Ofen reißen. Um
diese Problematik in den Griff zu bekommen, wird etwas Backhefe zugegeben.
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